Deutsche Universitäten im Wandel
Armin Himmelrath向记者提问分享
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2011-09-13 14:17订阅大 中 小.Sechs Semester Betriebswirtschaft hat Anna Berger schon hinter sich. Die 27jährige studiert an der Universität zu Köln, und an ihre ersten Tage als Studentin hat sie nicht die besten Erinnerungen. „Da gab es die großen Vorlesungen mit mehreren hundert Teilnehmern“, erzählt sie. „Wenn man da einen Sitzplatz haben wollte, dann musste man den Hörsaal regelrecht stürmen.“
Weniger geworden sind die Verteilungskämpfe um die Sitzplätze seitdem nicht. Denn die deutschen Universitäten und Fachhochschulen sind so voll wie nie zuvor: Rund 2,2 Millionen Studierende drängen sich in den Seminarräumen und Hörsälen. „Es sind einfach zu viele Studierende und zu wenig Lehrkräfte“, sagt Anna. Und in den nächsten Jahren wird es noch voller: Weil in einigen Bundesländern die Schulzeit an den Gymnasien von 13 auf zwölf Jahre verkürzt wurde, verlassen jetzt doppelte Abiturjahrgänge die Schulen. In den nächsten Jahren wird die Konkurrenz um Studienplätze also noch größer.
Die Hochschulen brauchen mehr Geld
In diesem Herbst geht es schon los: Alleine durch den Wegfall der Wehrpflicht in Deutschland rechnen die Hochschul-Planer mit 60.000 zusätzlichen Studienanfängern, insgesamt soll die Zahl der Studentinnen und Studenten in den nächsten Jahren auf bis zu 2,7 Millionen steigen. „Richtig vorbereitet darauf sind die Unis und die Politiker nicht“, sagt Dieter Dohmen, Direktor des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FIBS), „die Hochschulen brauchen eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung, wenn sie diese großen Zahlen verkraften sollen.“ Deutschland, sagt Dohmen, könne es sich jedoch gar nicht leisten, die jungen Studierwilligen vor den Türen der Hochschulen stehen zu lassen: „Der politische Druck auf die Verantwortlichen ist ausgesprochen hoch und wird noch steigen.“
Mit dem so genannten Hochschulpakt versuchen die Politiker in Bund und Ländern, die Universitäten und Fachhochschulen fit für den Ansturm der geburtenstarken Jahrgänge zu machen. Mehr als 300.000 neue Studienplätze sollen dafür bis zum Jahr 2020 entstehen – und schon jetzt ist klar, dass das nicht reichen wird. Zwei Milliarden Euro pro Jahr, schätzt Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), brauchen die Hochschulen zusätzlich zu den bisherigen Geldern, um die steigenden Studentenzahlen wirklich bewältigen zu können. „Wir können bei der Qualität der Hochschulbildung keine Kompromisse machen“, sagt die HRK-Chefin, „wir brauchen einfach die Unterstützung der Politik: Es muss investiert werden in die Hochschulbildung.“
Bologna-Prozess: Nicht alles läuft rund
Begründet wird die Forderung nach mehr Geld unter anderem mit dem Bologna-Prozess, dieser wohl größten Reform für die deutschen Universitäten seit ihrer Gründung. Die Umstellung auf die international üblichen Abschlüsse Bachelor und Master und die Neuordnung der Studiengänge sind noch nicht in allen Bereichen umgesetzt, immer wieder gibt es Probleme. So gingen die Politiker bei ihren Planungen davon aus, dass die meisten Bachelor-Absolventen erst einmal ein paar Jahre einem Beruf nachgehen, bevor sie ein Master-Studium aufnehmen. Doch die Nachwuchsakademiker haben andere Pläne: Vier von fünf würden am liebsten sofort den Master dranhängen – so viele Studienplätze gibt es aber gar nicht. „Bei uns führte das im letzten Oktober zu chaotischen Zuständen“, erzählt Studentenvertreterin Anna Bergert von der Universität zu Köln. Mehrere hundert Kölner Bachelor-Absolventen mussten zum Beginn des Wintersemesters 2010 erfahren, dass sie keinen Master-Platz bekommen hatten: „Auf ungefähr 215 Plätze hatten sich 700 bis 800 Bewerber gemeldet.“ Bundesweit wird sich dieses Problem in den kommenden Jahren noch verschärfen – denn die Jahrgänge mit den richtig großen Bachelor-Absolventenzahlen haben ihr Studium noch gar nicht beendet.
Deutliche Veränderungen gibt es derzeit auch bei den Studiengebühren in Deutschland. Die waren erst 2006 in mehreren Bundesländern eingeführt worden, doch nach einigen Regierungswechseln haben sich die meisten Landesregierungen wieder vom Bezahlstudium verabschiedet. Mittlerweile halten nur noch Bayern und Niedersachsen an ihnen fest. Für deutsche und ausländische Studenten bedeutet das: Sie haben, wenn sie mobil sind, die Wahl zwischen Hochschulen mit Gebühren und solchen ohne – für viele Studenten ist das ein wichtiges Kriterium bei der Wahl des Studienorts.
Und es gibt noch eine weitere Großbaustelle im deutschen Uni-System: In der Forschung sollen die Hochschulen, so wollen das Bund und Länder, deutlich besser werden und im Idealfall zur Weltspitze aufschließen. 2006 wurde deshalb die Exzellenzinitiative auf den Weg gebracht: ein Wettbewerb, bei dem zunächst 1,9 Milliarden Euro an besonders gute Forschungsprojekte der Unis verteilt wurden. Diese Exzellenzinitiative sei „ein riesiger Erfolg“ gewesen, sagt Bundesforschungsministerin Annette Schavan. Zusammen mit ihren Kollegen in den Ländern hat sie deshalb eine zweite Wettbewerbsrunde eröffnet, diesmal werden bis 2017 sogar 2,7 Milliarden Euro ausgeschüttet. Studierende haben davon allerdings nur indirekt etwas: Weil es sich um einen Forschungswettbewerb handelt, kommt von den Fördermilliarden in den normalen Vorlesungen in der Regel nichts an.
So viele Gaststudenten wie noch nie
Doch während in Deutschland viel über Bachelor und Master, über Exzellenzförderung und volle Hochschulen diskutiert wird, brauchen sich die deutschen Hochschulen offenbar keine Sorgen über ihr Image im Ausland zu machen. Nach aktuellen Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) wird für junge Menschen aus anderen Ländern ein Studium in Deutschland immer interessanter. Das in den meisten Fällen gebührenfreie Studium und die gute akademische Ausbildung machen ein Studium in Deutschland attraktiv: Mehr als 60.000 Gaststudenten kamen 2009 aus dem Ausland an eine deutsche Hochschule. „Das ist die höchste jemals registrierte Zahl“, sagt Thomas Liebig, Referent für Internationale Migration bei der OECD. Besonders interessant: Mit 15 Prozent stammt die größte Gruppe der ausländischen Studenten aus China.
Zahlen rund um’s Studium
Im Herbst 2010 nahmen über 440.000 Erstsemester ihr Studium an deutschen Hochschulen auf. Für Herbst 2011 rechnen die Verantwortlichen mit bis zu 500 000 Studienanfängern.
Der Bologna-Prozess wurde 1999 verabredet. Das Ziel: Vergleichbare Studienstrukturen und -abschlüsse in ganz Europa sowie mehr internationale Mobilität der Studierenden. Bis heute haben sich fast 50 Länder Europas dem Bologna-Prozess angeschlossen.
Text: Armin Himmelrath
Journalist, Köln
September 2011